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Biografisches

"... leben - das heißt, sich selber zu gebären,
sich vorsichtig Stück für Stück ins Dasein zu heben."
(Nexö, Andersen: Erinnerungen. Berlin 1969, S. 613)

 

MJ

Metamorphose

Mit diesem Text möchte ich meinen Beitrag zu diesem Buch leisten. Für viele Menschen ist es unbegreiflich, daß es Menschen gibt, die so viel durchmachen, um in einem neuen Geschlecht zu leben.

Ich bin als Junge 1967 in Berlin-Mitte zur Welt gekommen. Mein Name war Thomas. Schon in frühester Kindheit hatte ich einen besseren Draht zu Mädchen als zu den Jungen meines Alters. Dadurch wurde ich schon in meiner Kindheit zu einem Einzelgänger, der Schwierigkeiten hatte, sich in der Jungenwelt zu etablieren. Schon damals wäre ich lieber ein Mädchen gewesen. Dazu kam noch, daß meine Tante sagte, ich sähe aus wie ein Mädchen, und das gefiel mir sehr gut. Immer, wenn ich bei meiner Cousine war, spielte ich gerne mit ihren Puppen, da ich zu Hause kaum welche hatte. Zu Hause nutzte ich die Abwesenheit meiner Eltern, um an den Kleiderschrank zu gehen und Kleidungsstücke meiner Mutter anzuziehen. Ich fühlte mich dann sehr wohl in meiner Haut.

Ganz schlimm wurde es in meiner Pubertät, als Mädchen sich zu Frauen entwickelten und Jungen zu Männern. Ich beneidete die Mädchen um ihre Entwicklung und haßte alles, was bei mir zur Männlichkeit beitrug. Ich wollte auch so langes Haar tragen, Brüste haben und mich mit hübschen jungen Männern verabreden. Aber ich hatte viel zu große Angst, meine wahren Gefühle offen zu zeigen. Um das Problem halbwegs in den Griff zu bekommen, hatte ich ein Versteck im Keller, wo ich dann Frauenkleider anzog, die ich mir besorgt hatte. Es war für mich die einzige Möglichkeit, mein Frausein auszuleben. Als ich dann von meiner Mutter fast erwischt worden wäre, beschloß ich, mein Versteck aufzugeben und meine Neigung zu unterdrücken. Niemand ahnte etwas davon. Selbst meine Eltern wußten nichts, ich hatte viel zu viel Angst, ich könnte sehr krank sein.

Jahre später ging ich eine Beziehung mit meiner Cousine ein, die immerhin neun Jahre hielt. Aus dieser Zeit stammt auch mein Sohn Christian. In diesen neun Jahren glaubte ich, das Problem in den Griff zu bekommen. Aber ich konnte es nicht! Wenn meine Cousine arbeiten war, ging ich an ihren Kleiderschrank und zog mir dann ihre Sachen an. Ich verbrachte so den ganzen Tag, bis sie wieder nach Hause kam. Da mein Zustand immer schlimmer wurde, flüchtete ich in meine Arbeit, was dazu führte, daß sie sich einen anderen Mann suchte. Es kam dann zur Trennung. Auf der einen Seite war es mir sogar recht, aber auf der anderen Seite vermißte ich meinen Sohn sehr.

Da ich nun alleine war, konnte ich meine Weiblichkeit zu Hause ausleben. Um aber nach Außen hin "normal" zu wirken, ging ich immer wieder Beziehungen mit Frauen ein. Diese dauerten aber nie sehr lange, da ich meine Neigung kaum noch verstecken konnte. Als meine letzte Freundin mir Ende '95 auf den Kopf zusagte, sie hätte das Gefühl, mit einer Frau zu schlafen und nicht mit einem Mann, wußte ich, daß es keinen Sinn mehr hatte, es zu verheimlichen.

Ich begann dann Anfang '96 mit meinem Coming Out. Heute - Juli '97 - kann ich sagen, daß ich bis heute nichts bereut habe. Ich verlor zwar meinen Job als Kraftfahrer, habe aber einen lieben Partner gefunden, der mich bei meinem Weg unterstützt. Wir leben seit einem dreiviertel Jahr zusammen und ich bin sehr glücklich in meiner Beziehung, auch deshalb, weil er mich voll und ganz als Frau akzeptiert. Dieses Glück hat leider nicht jede transsexuelle Frau.

Meine Vornamensänderung ist seit Anfang Juli '97 durch, aber ich mußte feststellen, daß es ein harter Kampf mit der Krankenkasse ist, die Kostenübernahme für die geschlechtsangleichende Operation zu bekommen. Eine Ablehnung habe ich bereits hinter mir, aber ich werde nicht aufgeben - ich werde für diese OP kämpfen. Nur sie kann mich von meinem Leiden befreien und mein Leben lebenswert machen.

Aber bis dahin werde ich nicht untätig bleiben, einen Lehrgang zur Durchführung von Maniküren und Nagelmodellagen habe ich hinter mir und ich habe gute Chancen, das Gelernte auch beruflich anwenden zu können.

Ich bin stolz auf das Erreichte, und ich hoffe, daß das nächste Jahr ein gutes Jahr für mich sein wird. Mein neuer Name "Michelle Jaquelline" ist Musik in meinen Ohren und wenn ich eines Tages ganz in Weiß vor dem Traualtar stehe, dann bin ich der glücklichste Mensch auf dieser Welt!!!

 

Undine

Auf der Suche nach dem eigenen "Ich"

"Frühe Erkenntnis …"

Mit ca. 6 Jahren, eigentlich wohl noch früher, wurde mir bewußt, daß etwas falsch an mir ist. Mein Empfinden entsprach nicht dem, was von mir erwartet wurde.

Natürlich konnte ich es nicht in Worte fassen, dachte, ich sei die einzigste Person, der einzige Mensch auf der Welt, dem das passiert.

Von "Transsexualität" hatte ich noch nie gehört. Aber ich fühlte eben, daß ich ein Mädchen bin und daß äußerlich etwas nicht stimmte.

Ich ekelte mich davor, haßte es und wollte es - wie auch immer - weg haben.

Meine Großeltern, Omi, hatte mich leicht christlich erzogen. Ich betete also immer vor dem Schlafengehen im Bett:

 

"Ich bin klein,
mein Herz ist rein,
soll niemand drin wohnen außer Jesus, Omi, Opi,
und Rosi (meine rosa Plüsch-Teddybärin) allein."

 

Das Gebet war also erweitert worden und dann kamen noch Wünsche an den lieben Gott, daß dieser und jener gesund werden solle, daß Frieden auf der Erde sein soll usw.

Auch, daß er meinen Körper ändern solle.

Schon damals wurde ich oft für ein Mädchen gehalten und angesprochen, hörte Bemerkungen wie "diese Wimpern, diese Augen sind viel zu schön, viel zu schade für einen Jungen!"

Das Beten half nicht von heute auf morgen - ich setzte also Fristen: bis ich 8 bin, bis ich 10 bin, bis ich 12 bin, bis zur Jugendweihe ...

Da sich nichts tat, nahm ich ein anderes Mittel: Oma hatte ein "Rezept", um Warzen los zu werden. Aberglaube pur. Aber der Glaube versetzt Berge. Berge vielleicht aber …

Es hatte immerhin mal bei einer Warze geholfen:

"Die Warze um Mitternacht mit frischem Fleisch bestreichen, das Fleisch dann an geheimer Stelle vergraben. Wichtig: Es muß Vollmond sein! Man darf niemand davon erzählen und muß fest daran glauben! Und so wie der Mond abnimmt und das Fleisch verwest, verschwindet auch die Warze."

Es funktionierte bei der Warze. Bei einem anderen Versuch klappte es nicht. Und danach auch bei keiner weiteren Warze mehr.

Wenn der Glaube nicht hilft, der Aberglaube auch nicht, dann vielleicht die Medizin. Ich verlor den Glauben an Gott und auch an den Aberglauben.

Inzwischen hatte ich schon viel vom Geschlechtswechsel gehört - bei Fischen. Oder Bienen - je nach Ernährung werden es weibliche Arbeiterinnen, Drohnen oder die Königin. Oder Krokodile - je nach Temperatur, der die Eier ausgesetzt sind, entwickeln sich weibliche und männliche Tiere!

Auch daß es Geschlechtsumwandlungen (besser: Geschlechtsanpassungsoperationen) beim Menschen gibt, hörte ich. Ich sah Berichte in der DDR-Fernsehurania, einen DDR-Spielfilm "Selbstversuch" zum Thema, recht interessant gemacht - utopisch, da reversibel. Also in der DDR wurden solche Operationen gemacht.

Mit Oma hatte ich mich über meine Gefühle unterhalten können - mit 16, nach dem ich ihr alles auf Band gesprochen hatte.

Mit den Eltern ging es damals nicht.

Sie hatten es zwar mitbekommen (Mutter), mal lackierte Fußnägel, selbst genähte Wäsche usw. Aber als sie mich fragte, ob ich lieber ein Mädchen sein wolle - so mit ca. 10/12 stritt ich ab. Warum? Kein Vertrauen zu meiner Mutter. Und Vater? Er war dauernd auf Dienstreise, hatte wenig Zeit für meine Schwestern und mich.

Bei Omi und Opi war es besser.

Opa brachte mir das Fotografieren bei (mit 9), zeichnen, handwerkliche Dinge. Und Omi Kochen, Backen, Nähen.

Das Verhältnis zu Omi wurde schlechter, nachdem wir darüber gesprochen hatten. Grund: Obwohl es unter uns bleiben sollte, hatte sie es meinem Vater erzählt - doch von dort kam nie eine Frage, kein Wort - nix.

Mit 17 war ich bei einer Ehe- und Sexualberatungsstelle, wurde zu einer Psychologin geschickt, dann in die Charité, als ich 18 war.

Keine Hormonbehandlung. Operationen ja.

Drei Wochen war ich stationär zur Begutachtung. 750 Fragen - Transsexualität wurde diagnostiziert - dies erfuhr ich aber nicht 1981, sondern erst 1994!

Die Ärzte sagten, daß der Anpassungsprozeß ca. 8 Jahre dauern wird. Ich glaubte damals, daß ich das ohnehin nicht erleben würde.

Selbstmordversuche waren ja schon einige gewesen. Und irgendwie war ich überzeugt davon, keine 27 Jahre alt zu werden. Keine Ahnung warum.

Auch war der psychologische Druck hoch: 800$ pro Brustimplantat - umgerechnet wären das ca. 16 000 Mark der DDR nur für Implantate gewesen. Hätte mich zwar nichts gekostet - aber ich dachte damals, daß ich kein Recht hätte, dem Staat solche Kosten aufzuhalsen - naja, und daß es sich ohnehin nicht lohnt (Zeitfaktor).

Vergessen, verdrängen, ignorieren ging nicht.

Mein Verhalten wurde auch nach außen hin immer weiblicher - seit 1985 die eigene Wohnung. Die "Tarnung" flog immer mehr auf.

Zu Hause lebte ich ohnehin so, wie ich mich fühlte.

1989 dann die Wende. Ich versuchte, Informationen zu bekommen - Sex-Shops waren aber wohl die falsche Adresse. 1990 dann der erste Kontakt zu Herrn G.

Hunderte Fragen von mir. Kaum Antworten von ihm.

Zu DDR-Zeiten wäre alles automatisch gelaufen. Gutachten. Operation, neue Identität, Vorname, Name (! - wenn gewünscht), neue Arbeit, neue Wohnung - eventuell in einer anderen Stadt - so jedenfalls war es mir gesagt worden - Theorie? Theorie und Praxis verhielten sich ja oft wie Marx und Murks!

Nun war alles anders.

Bürokratie

Es gibt das Transsexuellengesetz. Vorschriften, Bestimmungen, teilweise gummiartig, da von Bundesland zu Bundesland anders ausgelegt.

Begutachtung. Ein Kapitel für sich. Zwei unabhängige Gutachten. Eine Freundin riet mir, wie ich mich verhalten solle. Ich ignorierte ihren Rat und verhielt mich so, wie ich empfand, empfinde!

Ergebnis: eine Gutachterin bemängelte meine Kleidung: nur in Hosen bei 3 Besuchen im Winter!

Sie selbst hatte auch nur Hosen an!

Stundenlange Befragung nur nach der Armee - bei der ich nie war!

Ich brach die Begutachtung ab. Resultat: Auf Grund der 3 Termine (sie wollte mich eigentlich mindestens ein Jahr lang begutachten - Notwendigkeit oder Geldschinderei?) teilte dann Frau L. meiner Hausärztin mit, daß Transsexualität auszuschließen sei und von einer weiteren Hormonbehandlung wäre dringend abzuraten. Eine Katastrophe, wenn das andere Gutachten nicht schon positiv ausgefallen wäre.

Solche leichtfertigen Beurteilungen können einer Verurteilung zum Tode gleich kommen!

Puzzleartig erfuhr ich von den notwendigen Prozeduren:

- Antragstellung beim zuständigen Amtsgericht auf Vornamensänderung

- zwei voneinander unabhängige Gutachten erbringen

- Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse stellen, gegebenenfalls mehrere für die geschlechtsangleichende Operation, für Epilationen, für eventuellen Brustaufbau usw.

- Anträge werden erst bearbeitet, wenn die Vornamensänderung durch ist

- neue Ausweise beantragen: aber die Vornamensänderung muß erst rechtskräftig werden

- im Reisepaß steht vor der Operation dann oft noch das "falsche" Geschlecht, also M oder F

- gute Operateure suchen, teilweise sind Zuzahlungen zu leisten, teilweise gibt es nicht zufriedenstellende Ergebnisse mit mehreren Nachoperationen

- Risiken bedenken: Jeder Mensch hofft auf gute Ergebnisse, die gibt es aber nicht immer. Wie verkraftet man einen eventuellen Fehlschlag? Oder auch nur Komplikationen?

- nach der OP Antrag auf Personenstandsänderung stellen. Rechtskräftigkeit abwarten

- Änderung von Zeugnissen, Reisepaß (Nach der Personenstandsänderung), Geburtsurkunde

- Abstammungsurkunde beinhaltet weiter das bei der Geburt festgestellte Geschlecht Warum? Diese Urkunde wird bei der Eheschließung gebraucht - weshalb?

- Änderung von Konten, Bankverbindungen, Versicherungsverträgen, eventuelle Probleme mit der Lebensversicherung

- Viel Bürokratie: Unangenehm, immer irgendwelchen Erklärungen abgeben zu müssen, teilweise immer die Lebensgeschichte zu erzählen!

Zwischenmenschliche Beziehungen

Diese waren wohl immer gespannt.

In der Schule wollte ich ganz normale Freundschaften zu anderen Mädchen - aber für sie gehörte ich genausowenig dazu, wie zu den Mitschülern. Ich war also immer irgendwie außen, es wurde nur gestöhnt, wenn ich in die Nähe einer Gruppe kam. Nur, wenn es darum ging, Hausaufgaben abzuschreiben oder bei Arbeiten, kamen sie an.

So mit 14/16 hatte ich das Gefühl, daß mich viele anstarren, wildfremde Passanten auf der Straße, eben noch ins Gespräch vertieft, plötzlich verstummten, mich ansahen, tuschelten, sich nach mir umdrehten ...

Hatten sie was bemerkt? Konnten sie Gedanken lesen? Unsicherheit!

Bei der Ausbildung zum "Facharbeiter für Holztechnik" wurde ich wieder gehänselt, lange Fingernägel, lange Haare, mein Verhalten zu meinen weiblichen und männlichen Mitlehrlingen ...

1981 hatte ich noch einen Arbeitsunfall, diverse andere Unfälle hatte ich schon vorher gehabt. Der Unfall war wohl auch eine Ursache dafür, daß ich mich nicht schon damals zur Operation entschlossen habe. Frau und verkrüppelt ...?

Auch auf der neuen Arbeitsstelle gab es Schwierigkeiten.

Eine Kollegin hatte 2 Tage vor mir begonnen - wir waren also beide neu. So lernten wir uns kennen und mögen. Nach ca. 6 Wochen erzählte ich ihr alles von mir und sie versuchte, mich vom Gegenteil zu überzeugen.

Sie merkte bald, daß sie mich nicht umkrempeln kann und unterstützte mich, meinen Weg zu gehen.

Wir sind nach wie vor gut befreundet und treffen uns ab und an zum Quatschen.

Als ich 16 Jahre alt war, sagte meine Mutter, daß ich mir beizeiten eine Wohnung suchen solle, ich solle nicht denken, daß ich bis dreißig bei ihnen wohnen könne.

Aber seit sie es wissen, direkt von mir gesagt bekamen - Mutter am Muttertag '94 - (gut ein halbes Jahr nach Beginn der Hormonbehandlung) ist das Verhältnis besser! Mutter nahm mich in den Arm und sagte, daß sie jetzt mein Verhalten die ganzen Jahre über eher nachvollziehen kann, daß ich mich immer so zurückgezogen hatte usw. Wenn ich Hilfe brauche, kann ich zu ihr kommen.

Auch Vater warf mich nicht raus, ich hätte das eher angenommen als diese Reaktionen.

Leider dauert es ewig, gerade bei Vati, bis er die dritte Person beherrscht. Oft heißt es immer noch "er", "ihm", "ihn" usw. Das tut weh!

Nach der Vornamensänderung ging es relativ schnell - 2 Jahre mit Begutachtung, Vornamensänderung, Operation, Personenstandsänderung - und doch dauerte es ewig lange. Jeder Monat, jede Woche Verzögerung nervt, kommt einem tierisch lange vor.

Die Anträge ruhen, bis sich jemand nach Wochen oder Monaten durch die Akten gearbeitet hat - dann bekommt eine andere Stelle die Akten und weiter warten ...

Ohne diese Bürokratie könnte alles vielleicht in einem halben Jahr überstanden sein.

Partnerschaft

Bis zum Sommer 1994 kam für mich nur eine lesbische Beziehung in Frage. Etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen.

Wahrscheinlich auch ein Grund für Frau B. und Frau L. zu ihrer "Diagnose" zu kommen.

Im Herbst dann der erste Mann, der offensichtlich reges Interesse zeigte und nichts merkte. Als ich es ihm dann 4 Wochen später sagte, sagen mußte, war dann auch nach der ersten Nacht Schluß.

Momentan bin ich mit einer Frau zusammen, die erste Partnerschaft, die auch zu einem Zusammenleben führte.

An ewige Liebe glaube ich nicht und ob ich eine gute Mutter abgeben könnte, weiß ich nicht (z. B.: Mann mit Kindern). Gerne würde ich selbst mal eines bekommen, aber ... Wunschdenken und die Zweifel, ob es überhaupt noch sinnvoll wäre, Kinder in diese Welt zu setzen.

Eigentlich suche ich Harmonie in einer Partnerschaft, bis jetzt habe ich sie noch nicht gefunden. Es ist für mich wichtig, aber vielleicht in Wirklichkeit nur eine Illusion?

Schönheit - Körper - Erwartungen

Nach den ersten Hormoneinnahmen tat sich noch nichts. Aber nach etwa 4 Wochen begannen die ersten Spannungsgefühle darauf hinzudeuten, daß die Brust wächst. Welch ein tolles Gefühl, zum Beispiel beim Treppe hinunterlaufen.

Androcur - keine Depressionen. Es bewirkte etwas, und das baute mich psychisch auf.

Nach dem ich keine "Verkleidung" mehr anlegte, so auch auf die Straße ging wie ich mich fühlte, bemerkte ich auch keine blöden Blicke mehr - eher anmachende. Ein irres Gefühl. Endlich frei, freier zumindest!

Vor der Vornamensänderung ergaben sich komische Situationen, wenn ich in Verkehrskontrollen geriet. Aber die Polizisten waren nett, trotz des "falschen" Führerscheins. Ich befürchtete, daß ich zur Feststellung der Personalien mitgenommen würde ...

Überhaupt waren viele Befürchtungen umsonst, Fragen, die ich hatte, lösten sich einfach auf.

Keine doofen Bemerkungen, blöden Fragen, das machte vielleicht das zunehmend selbstsichere Auftreten.

(Hilfreich wäre, wenn Probleme, die mit eventuellem Bartwuchs verbunden sind, schon im Vorfeld beseitigt würden. Zur Epilation zu gehen, stoppelig, ist arg unangenehm. Schon drei Tage vorher können Betroffene ja nicht mehr die Wohnung verlassen. Es könnte ja auffallen und dann doch blöde Bemerkungen geben, oder Schlimmeres.)

Es gibt auch kleine Nachteile, die ich bemerkte. Mir wird jetzt weniger technisches Verständnis zugetraut als früher. In Fotoläden werden oft erst nach mir kommende Herren bedient, daß ich mich für eine Spiegelreflexkamera und Objektive interessiere, vermutet niemand.

Das Verhältnis zu Mitmenschen ist viel besser. Ich bereue auch aus diesem Grund, daß ich mich so spät dazu entschlossen habe. Eine gewisse Schönheit ist mir schon wichtig. Ich bin froh, nicht Frankensteins Monster zu sein. Ob ich schön bin, weiß ich nicht. Subjektiv wirke ich auf manche womöglich so - schön.

Selbst habe ich Zweifel, fühle mich zu dick, hätte hier und da noch etwas auszusetzen, will aber nicht zu viel an mir rumschnippeln lassen. Ich bin also nicht komplett zufrieden mit meinem Körper - aber wer ist das schon?

Es ist jedenfalls kein Vergleich mehr zu früher. Ich kann mich jetzt mit meinem Körper identifizieren. Es gibt nichts ekliges mehr.

Hätte ich den Schritt also doch früher tun sollen? Ja und nein. Wer weiß, wie das Ergebnis damals ausgefallen wäre?

Wie lange kann ich das nun genießen? Wann macht sich das Alter bemerkbar? Ist mit 40 oder mit 45 Schluß?

Ich möchte gern wieder arbeiten, als Fotografin am liebsten oder als Verkäuferin in der Fotobranche.

An sich habe ich keine Langeweile, aber ich komme mir nicht so gebraucht vor.

Zukunftsangst habe ich, wenn ich daran denke, was nach Wegfall der Arbeitslosenhilfe kommt. Angst vor Obdachlosigkeit - Ängste, die ich früher schon hatte, mit dem Unterschied, daß sie damals viel stärker waren.

Meine jetzigen, nicht hochtrabenden Wünsche - Erwartungen sind es nicht - sind utopisch, da Geldmangel herrscht. Und mit Ebbe in der Tasche kann ich nicht über den Teich, um mich in Australien und Neuseeland umzugucken.

Einen Millionär zu "angeln", erwarte ich auch nicht, und so bleiben erst mal die jetzigen Ängste und die Zukunftsängste, was Rente usw. betrifft ...

Auch auf einer einsamen Insel ganz allein würde ich nur so sein wollen, wie ich jetzt bin. Zum Ende noch ein wichtiger Hinweis von mir für alle!

Gehe Deinen Weg Schritt für Schritt.

Ohne falsche Rücksichtsnahme! Blockiere dich nicht mit zahllosen Fragen - etliches ergibt sich von selbst und fügt sich zusammen.

Nur Mut und lauf los - nicht blind aber Deiner Selbst Bewusst!

 

Heidi Fitzer

Mein langer Weg

Vom ersten Outing bis zum heutigen Tag

Ich habe mich mit dem ersten Schritt zum Outen sehr schwer getan. Heute kann ich sagen, daß mir die Hormone - die ich mir aus England schwarz besorgt hatte - sehr bei meinem ersten Outing geholfen haben. Durch die überdosierte Einnahme der Hormone, war ich körperlich ein Wrack. (Zu hoher Blutdruck u.s.w.) Also war ich gezwungen, zu meinem Hausarzt zu gehen. Ich weiß es noch wie heute. Das Wartezimmer war zwar voll, aber für mich noch zu leer. Plötzlich wurde ich aufgerufen. Als ich dann vor meinem Hausarzt saß, war ich kaum in der Lage zu sprechen. Ich war nervlich am Ende.

Aber irgendwie schaffte ich es doch, ihm zu sagen, daß ich transsexuell bin und mit Hormontabletten herumgespielt habe, und daß ich mit den Nerven völlig am Ende bin. Seine Reaktion war wirklich sehr positiv für mich. Er fand es sehr gut, daß ich endlich mit der Sprache herausgekommen bin. Er machte mir freundlich klar, daß er auf diesem Gebiet keine Ahnung habe, aber er werde dafür sorgen, daß ich jetzt zu den richtigen Ärzten komme. Ich war so erleichtert, daß ich es in mir richtig poltern hörte.

So schwer war der Stein, der mir von der Seele fiel.

Mein erster Besuch beim Frauenarzt

Also kam ich zu Dr. M.

Als ich das erste mal dort die vier Treppen hinauf ging, wurden meine Schritte immer langsamer. Ich war kurz vor dem Umdrehen. Aber ich sagte mir, da mußt du durch. Alles Frauen und ich als einziger Mann dort. Oh war das übel. Die meisten Frauen guckten mich an und dachten, was will denn der hier? Aber als ich dann vor Herrn M. saß, war es mir auf einmal doch ein leichtes, über mein Anliegen zu reden. Und siehe da, wieder war die Reaktion positiv. Von da an wurde der Gang zum Gynäkologen immer leichter. Mir war es dann auch egal, ob mich die auch wartenden Frauen anstarrten oder nicht.

Sonntagsclub

Zu dieser Zeit begann ich dann auch meine regelmäßigen Besuche beim Sonntagsclub. Ich kann heute sagen, daß mir dieser Club - insbesondere die Einzelgespräche bei Frau R. - sehr geholfen haben. Zu diesen Einzelgesprächen gehe ich heute noch regelmäßig hin.

Auch besuche ich heute noch fast regelmäßig die Transsexuellengruppe im Sonntagsclub.

Mein Outen auf der Arbeit

Auf der Arbeit hatte ich wieder Glück gehabt. Durch einen Zufall habe ich herausbekommen, daß eine Arbeitskollegin von mir lesbisch ist. Ich mußte nämlich ein Klavier für den CSD fertigmachen. Das habe ich meinen Arbeitskollegen mitgeteilt. Mir war einfach so danach. Von der gewissen Arbeitskollegin kamen darauf hin einige Bemerkungen zurück, die mich stutzig machten. Aber ich fand immer noch nicht den Mut, sie direkt darauf anzusprechen. Also fragte ich sie ganz link aus. Als sie es merkte, wurde sie sehr aggressiv und fragte mich, ob ich nun zufrieden sei ... Ich habe sie nur angelächelt und meinte, daß wir uns mal länger unterhalten müßten. Endlich strahlte sie wieder und ich wußte, daß ich richtig lag. Wir verabredeten uns nach dem Feierabend.

Wir gingen in eine Kneipe und plauderten vier Stunden miteinander. Es war super für uns beide. Wir waren plötzlich Verbündete. Sie hat mir auch sehr auf dem Weg zu den anderen Arbeitskollegen geholfen. Das Outen bei den anderen Arbeitskollegen war eigentlich ganz einfach. Ich habe mir aber die Kollegen ausgesucht, denen ich es sage. Diesen Leuten habe ich im Urlaub einen Brief geschrieben. Und alle haben positiv reagiert. Da ich zu diesem Zeitpunkt schon die Kündigung in der Tasche hatte, habe ich mich nicht allen Kollegen geoutet. Da ich einige Kollegen schon 24 Jahre kenne, wußte ich auch, daß es einige nicht verstehen würden.

Das Risiko, daß es doch zu allen vordringt, mußte ich eingehen.

Mein Outen in der Familie

Zuerst war meine Mutter dran. Es lief eigentlich sehr gut. Sie wollte ja auch im Prinzip früher immer eine Tochter haben.

Bei meinen beiden älteren Brüdern war es dann schon etwas schwieriger. Beim Gespräch hatten sie es akzeptiert (dachte ich). Als sie aber merkten, daß ich es ernst meine, wurde es sehr schwierig zwischen uns. Sie dachten nämlich, ich mache gerade so eine Spinnerphase durch. Und der kriegt sich schon wieder ein. Ich habe meinen Brüdern Zeit gelassen, sich daran zu gewöhnen. Habe ihnen aber auch deutlich klar gemacht, daß ich meinen Weg gehe. Ob es ihnen paßt oder nicht. Heute haben sie mich als Frau voll akzeptiert.

Das Warten hat sich gelohnt.

Mein Outen und das sonstige Umfeld

Ich hoffte zwar, daß ich nicht viele Freunde und Bekannte verliere, aber einige haben sich doch von mir abgewandt.

Aber die meisten haben zu mir gehalten.

Auch in meiner Gruppe für Alkoholkranke, wo ich einige 15 Jahre lang kenne, gab es erst einige Schwierigkeiten. Aber nach einigen klärenden Gesprächen und ein bißchen Nachdruck, haben sie mich nach einiger Zeit akzeptiert. Ich besuche diese Gruppe heute noch als Frau.

Mein Weg - auch äußerlich - eine Frau zu werden

Als ich noch in Arbeit stand, habe ich ganz langsam damit angefangen, mein Äußeres zu verändern. Mit Beginn der Arbeitslosigkeit begann ich dann, alles ein wenig zu forcieren. Aber ich ging schrittweise vor. Ich wollte meine Umwelt langsam daran gewöhnen. Ich wollte ja keinen schockieren. Ich muß aber auch zugeben, daß ich auch noch Hemmungen hatte. Aber wenn ich einen Schritt in Richtung Frau gemacht hatte, bin ich nie einen Schritt zurück. Und für mich kann ich sagen, daß der Weg richtig war. Ich besitze heute keinerlei Herrengarderobe mehr. Ich bewege mich heute als normale Frau. Auch auf meiner heutigen Arbeitsstelle, denen ich damals auch ganz klar gesagt habe, was ich vorhabe.

Der Chef konnte sich aussuchen, ob er mich als Frau behält oder nicht. Nach einigen typischen Fragen - zum Beispiel: "Wie schrill kommst du denn zur Arbeit" - hat er mich behalten. Ich bin heute auf der Arbeit die Heidi und damit hat sich das.

Ein zuerst schockierendes aber anschließend sehr positives Erlebnis war für mich, daß ich voriges Jahr zwei mal ins Krankenhaus mußte. Ich mußte ins V.-Krankenhaus, um mich nur röntgen zu lassen. Dort teilte man mir dann mit, daß ich nicht mehr nach Hause komme, sondern gleich auf die Intensivstation. Es schossen mir gleich viele Gedanken durch den Kopf. Zum Beispiel, auf welches Zimmer ich nach der Intensivstation komme. Ich begann, hemmungslos zu weinen. Aber es klappte alles wunderbar. Die Schwestern waren alle sehr nett zu mir, die Ärzte nicht minder und die Anrede Herr F. fiel überhaupt nicht. Ich war trotz meines Pneuro-Thorax sehr glücklich. Aber sie konnten mich nicht heilen. Also wurde ich in die Lungenklinik nach Heckeshorn verlegt. Es flossen wieder reichlich Tränen. Denn nun waren wieder diese Gedanken da. Aber ich sollte mich wieder täuschen. Auch dort lief alles nach meinen Wünschen. Ich war auch dort die Frau F. Zwar auf der Herrenabteilung, aber ich lag in einem Zweibettzimmer allein. Ich bin auch dort als normale Frau herumgelaufen. Daß die Mitpatienten Probleme hatten damit, war mir völlig egal. Wenige Herren haben sich trotzdem mit mir unterhalten. Das hat mir auch gereicht. Zum richtigen Klönen hatte ich ja die Krankenschwestern. Es war so schön dort, daß ich bei meiner Entlassung Tränen in den Augen hatte. Ich wurde aber nur unter Vorbehalt entlassen. Es konnte gutgehen mit der Lunge oder nicht. Es ging nicht gut. Im Herbst ist die Lunge dann wieder aufgegangen. Ich also wieder hin nach Heckeshorn zu meinen lieben Schwestern.

Es mag ein wenig komisch klingen, aber irgendwie habe ich mich auf das Krankenhaus gefreut. Ich wurde auch gleich herzlich begrüßt. Und das beste war, diesmal bekam ich ein Zweibettzimmer auf der Frauenabteilung. Das war wirklich super. Jetzt hatte ich auch Kontakt zu Mitpatientinnen. Ich habe heute noch Kontakt zu einer davon.

Wenn ich heute alles überdenke, kann ich sagen, daß ich viel Glück gehabt habe. Bis jetzt war für mich alles ziemlich einfach. Ich hoffe, es bleibt auch so.

Meine Sexualität

Zu Beginn meines Frauseins war ich nur auf Frauen fixiert. Für mich existierten Männer überhaupt nicht. Ich kann sagen, ich war schon fast militant. Diese Phase dauerte ungefähr ein Jahr. In einer Pizzeria ergab es sich dann, daß ein Kellner heftig mit mir flirtete, und ich bin voll darauf eingestiegen. Ich habe mich selbst nicht verstanden. Ich war völlig durcheinander. Aber irgendwie fühlte ich mich wunderbar. Mit diesem Kellner hatte ich auch meinen ersten sexuellen Kontakt. Das Verhältnis hielt zwar nicht lange an - ich fühlte mich von ihm ausgenutzt - aber trotzdem hat es mir doch einiges gegeben. Für mein Selbstwertgefühl war es wirklich sehr gut.

Dann hatte ich ein sexuelles Verhältnis zu einer Transsexuellen (Mann zu Frau). Sie war noch in der Entwicklung zur Frau, ziemlich am Anfang. Als sie dann ein Wochenende bei mir war, habe ich sie sexuell als Mann gesehen und auch benutzt. Um es kurz zu machen, für mich war es super und für sie ein Fiasko. Trotz einer langen Aussprache ging dann unser Verhältnis in die Brüche. Ich weiß heute, daß es nicht gut gegangen wäre. Jetzt bin ich im Augenblick wieder solo, aber ich habe doch was daraus gelernt.

Wenn ich meine Umwandlung hinter mir habe, werde ich mich um eine heterosexuelle Partnerschaft bemühen.

 

Chris

Zu mir selbst

Es gibt schon mehr als genug Autobiographien von Transsexuellen. Ich will hier nur von mir erzählen, was für das Verständnis meiner Fantasy-Storys sinnvoll ist, ferner möchte ich eine theologische Betrachtung zur Transsexualität beifügen.

Ich wurde Ende 1953 als 4. von 7 Kindern in Odenwald geboren. Die Geschwisterrivalität war bei uns ziemlich stark, vor allem der älteste Bruder tyrannisierte die jüngeren Geschwister.

Das führte dazu, daß ich mir mit 6 Jahren vornahm, nicht so zu werden wie meine älteren Brüder. Ferner wünschte ich mir, größer als sie zu werden, damit sie mich nicht mehr verprügeln können. Beides ist in Erfüllung gegangen ...

Wohl deshalb, weil meine jüngere Schwester bevorzugt wurde, tauchte bei mir mit 6 Jahren der Wunsch auf, so wie sie zu sein. Auch ich hätte gern meine Genitalien "unter Putz". Ich hatte wohl richtig gespürt, daß ich wegen meiner Genitalien benachteiligt wurde, ohne daß ich damals schon die geringste Ahnung vom Sex hatte.

Der Gedanke, als Mädchen rumzulaufen, hätte mir allerdings in der Grundschulzeit nicht behagt (vgl. in meiner Fantasy-Story das Kapitel über die Klosterschule). Mein Hauptinteresse gilt seit dem Krabbelalter der Elektrotechnik. Als Kind spielte ich viel mit meinem Teddybären und beschäftigte mich mit einem eigenem Stück Garten, wo ich Blumen pflanzte, aber auch Häuschen baute, wo meine Stofftiere hineinpaßten.

Vor der Einschulung war ich monatelang bei meinen Großeltern, wo ich mal Einzelkind sein durfte. Als ich 11 Jahre war, zogen meine Eltern nach Berlin. Am Gymnasium waren mir die Jungs zu wild, und als ein Lehrer sagte, die Jungen könnten sich ruhig prügeln, Hauptsache, sie lassen die Mädchen in Ruhe, da tauchte in mir zum ersten Mal der Gedanke auf, daß ich es als Mädchen besser hätte. Ich hätte dann auch mit den Mädchen spielen können, was auf dem Gymnasium verpönt war (z. B.: Gummitwist).

Ich hatte keine große Lust, erwachsen zu werden. Es hieß immer: "Du bist schon zu groß, um noch ..." (z. B. mit Teddys zu spielen). Ich war über Bartwuchs und Stimmbruch nicht sehr glücklich.

Als ich am Ende des Studiums (Elektrotechnik) in eine psychische Krise kam, tauchte in der Psychotherapie die Idee aus der Kindheit wieder auf, daß ich (zeitweilig?) lieber ein Mädchen gewesen wäre. Statt mir therapeutisch weiterzuhelfen, gab mir die Psychoanalytikerin den Rat, mich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen. Ich hätte doch die passende Figur ...

Ich habe lange gezögert, ich wollte lieber Psychotherapie, um meine Depressionen loszuwerden. Mein Lebensziel war heiraten und Kinder zu haben, nicht als unfruchtbare künstliche Frau rumzulaufen, zumal ich mich nach einer Freundin sehnte und mich Männer eher ekelten. In der Psychoklinik, in die ich wegen Depressionen dann kam, erfuhr ich zum ersten Mal, daß es auch Frauen gibt, die Frauen mögen. Ich müsse also nach einer Geschlechtsumwandlung nicht mit Männern verkehren.

Als bei mir mit 29 Jahren Glatzenbildung einsetzte, begann ich , Hormone zu nehmen. Ich hatte keine Zeit mehr, noch weitere Jahre nach brauchbarer Psychotherapie zu suchen, die ich doch nicht fand. Dadurch, daß ich tagsüber arbeiten mußte und beruflich öfters den Wohnort wechseln mußte, war es mir nicht möglich, längere Zeit Therapie zu machen.

1987 stellte ich schließlich den Antrag auf Namensänderung, um so Gutachten für eine "geschlechtsangleichende" Operation zu bekommen. Als ich daraufhin meine Arbeit verlor und meine Mutter mit Verstoßung drohte, brach ich psychisch zusammen. Für eine Operation war ich langezeit zu instabil. Aber als ich sie mit Hilfe von Psychopharmaka überstand, ging es mir seitdem wesentlich besser.

Ich wirke auf meine Umwelt oft zwitterhaft, was auch meiner psychischen Natur entspricht. Auf weibliche Kleidung habe ich nur selten Lust. Aber es deprimiert mich, als Mann angesprochen zu werden ( siehe die Geschichte "Kieran").

Kieran, die Hauptperson in meiner zweiten Fantasy-Story, ist ein Frau-zu-Mann-Transsexueller. Unsere 6jährige Freundschaft im Darkover-Freundeskreis setzte ich in eine Darkover-Story um. Kierans Briefe hab ich lediglich passend gekürzt und nur wenig verändert. Sie enthalten Anspielungen auf Psychotherapeuten, meine Arbeitgeber von 1987 und die damalige Lesbenszene in Hamburg.

Da unser Darkover-Freundeskreis Ärger wegen des Copyrights bekam, schreiben wir jetzt andere Science-fiction Storys ("Siebener Kurier", ISSN: 0 948-6089).

 

W. W. Rosanow

Menschen des Mondlichts. Reprint der Ausgabe von 1911.

(Auszüge - aus dem Russischen übersetzt von Björn Seidel-Dreffke)

Vorbemerkung des Übersetzers

W. W. Rosanow gehört zu den originellsten, bis zur Perestrojka in Rußland aber weitgehend tabuisierten Autoren des "Silbernen Zeitalters" der russischen Kultur (ca. 1890-1917).

Ein Grundanliegen Rosanowscher Philosophie war seine ständige Auseinandersetzung mit der Geschlechterfrage. Sein Buch "Menschen des Mondlichts" stellt einen Höhepunkt seiner tiefgründigen Reflexion über von der Norm abweichendes Sexualverhalten wie Homosexualität und Transsexualität dar. (Transsexuelle belegt er allerdings in seinem Buch mit der für die damalige Zeit auch in Rußland üblichen Bezeichnung - Urning.) In der russischen Geistesgeschichte jener Zeit sucht es an Tiefe und Toleranz seinesgleichen.

Bei dem folgenden Auszug handelt es sich um Ausschnitte der Lebensbeschreibung der russischen Philosophin M. W. Besobrasowa, die Rosanow in sein Buch übernahm. Sie verdeutlicht das Erleben einer transsexuellen Prägung vor mehr als 100 Jahren.

(Die Seitenangaben der oben genannten Ausgabe erfolgen in der folgenden Übersetzung jeweils in Klammern)

 

Biographische Notizen des Doktors der Philosophie, Maria Wladimirowna Besobrasowa, Tochter des Autors und Redakteurs der "Zeitschrift für Staatswissenschaften"

"Es gibt seltsame Menschen, zu denen ich zweifellos gehöre, und deshalb kann ich über mich nicht so erzählen, wie das andere machen; auch weiß ich nicht, lohnt es sich denn über mich zu berichten, kann es denn interessant sein, was ich zu sagen habe?" (S. 227)

"Es kann sein, daß es noch mehr Verwunderung hervorruft, wenn ich feststelle, daß ich eigentlich keine Frau bin. Vielleicht ist in mir ein Nachfahre irgendeiner Zeitgenossin des Matriarchats wiedergeboren worden? Oder in mich ist irgendwas nicht eingegangen, das im Laufe der Jahrhunderte den Typ Frau begründete, den wir alle kennen - als ein Resultat ihrer Unterdrückung? Meiner Natur sind alle rein weiblichen Elemente einer Frau fremd, ist ihre Versklavung fremd.

Von frühester Kindheit an habe ich gespürt, daß ich eigentlich kein Mädchen bin.

Hat sich vielleicht Luisa Christianowna (die Hebamme meiner Mutter) geirrt, als sie mich entband? Das war eine Frage, die ich mir nicht nur einmal gestellt habe. Aber nein, sie hat sich wohl nicht geirrt.

Ich bin nicht nur als biologisches Mädchen geboren worden, sondern wurde auch noch ein hübsches Mädchen und alle Zeichen der Aufmerksamkeit, die mir zuteil wurden, hätten mich eigentlich an der Möglichkeit eines physiologischen Spiels der Natur zweifeln lassen sollen.

Das eigentliche Drama spielte sich im seelischen Bereich ab. All meine psychischen Anlagen und Fähigkeiten gingen nicht mit dem konform, was die Natur üblicherweise Frauen mitgibt, mein ganzer Geschmack war dem seit Urzeiten für Mädchen üblichen entgegengesetzt." (S. 228)

"Ich habe nicht nur nie mit Puppen gespielt, sondern ich haßte schon allein den Anlaß, aus welchem man sie schenkt - das Weihnachtsfest. Zum Weihnachtsfest kamen all die älteren Verwandten, auf die meine jungen Eltern keinen Einfluß hatten und deshalb nicht sagen konnten: ‚Schenkt das lieber nicht!'. Diese Verwandten deckten mich wie einen Säugling mit riesigen Puppen und deren Bettchen, Schränkchen und anderem albernen Zeug ein, und ich war nicht nur deshalb unglücklich, weil ich das alles gar nicht gebrauchen konnte, sondern noch aus einem anderen Grund. Ich mußte Dankbarkeit zeigen, sogar Freude. Als ein nicht dummes Mädchen wußte ich aber, daß dies nötig war, und dabei war doch Lügen das Allerschlimmste für mich. Deshalb habe ich mich ehrlich gefreut, als dieser furchtbare Abend vorbei war, als die Verwandten wegfuhren, die natürlich mit aller Ehrerbietung verabschiedet wurden, und ich konnte die riesigen Puppen, die ‚Mama' kreischten, weglegen bzw. vergessen. Es gab kein größeres Fest für mich, als mit den Brüdern den Weihnachtsbaumschmuck abzunehmen und mit deren Spielzeug zu spielen. Bis heute erinnere ich mich an ein Geschenk meines Vaters, das er mir schon lange vor Weihnachten gegeben hatte, weil er es genau wie ich vor Vorfreude kaum erwarten konnte. Wie heute sehe ich diesen großen Pferdeschlitten vor mir, der so groß war, daß sich meine beiden Brüder bequem hineinsetzen konnten und der über einen Kutschbock für mich verfügte; vor diesen Schlitten waren zwei Spielzeugpferde mit silbernen Geschirr gespannt. Dieses Pferdegeschirr ließ sich abnehmen und wieder anlegen und meine Freude kannte keine Grenzen. Der gute Vater wußte, was er schenken mußte." (S. 229)

"Im Sommer erwachte die Phantasie meiner Mutter. Mit Ungeduld erwartete ich meinen Namenstag, da ich wußte, daß sie eine Überraschung für mich vorbereitet hatte. Aber das, was sie mir dann schenkte, übertraf meine Erwartungen stets bei weitem. Auf ein hölzernes Beil folgte ein kleiner Hakenpflug mit eiserner Pflugschar, ein Pflug, vor den ich meine Brüder spannte, und zuletzt erhielt ich eine Sense zusammen mit einem Schleifstein und einen Hammer mit Amboß.

Als ich mit der echten kleinen Sense unseren sogenannten sauberen Hof umpflügte, hatte ich den Schleifstein am Gürtel befestigt, den ich um mein rotes Kattunhemd mit dem roten Kragen geschlungen hatte, und unter dem Hemd sahen die hohen Schäfte der Stiefel hervor (trad. Kleidung russischer männlicher Bauern - A. d. Ü.). Im Sommer gab die Mutter meiner Schwäche nach und erlaubte mir, in diesem Hemd herumzulaufen. Dafür blieb mir im Winter nur der Neid übrig. Diese glücklichen Jungen hatten so wunderbare blaue Kaftane (altertümlicher langschößiger Rock - A. d. Ü.) mit goldenen Knöpfen, die mit grauen Lammfell besetzt waren, und zur Vollendung meines Neids hatten die Jungen auch noch rote Gürtel und Mützen und ich ... mußte weiter im weiten Damenmantel mit einer Frauenhaube herumlaufen.

Meine Spaziergänge in die Stadt wurden durch diese weiblichen Attribute vergiftet. Ich fühlte mich darin nicht wohl, und sie erschienen mir nicht schön." (S. 230)

"Im Hemd war es so bequem, in die Kutsche zu springen, sie zu lenken oder auf einen Baum zu klettern.

Ich fuhr, freilich im Kleid, auf dem Bock unseres großen Reisewagens, da es schwierig war, mich dazu zu überreden, im Wagen Platz zu nehmen, und es machte mir den größten Spaß, die Pferde zu lenken - bis ich schließlich zu reiten begann, da erschien mir auch das kutschieren langweilig.

Wenn ich schon die Brüder beneidete, habe ich den Kutscher doch noch mehr beneidet, bei dem alles richtig echt war. Sein Hut mit den Pfauenfedern und sein mit Metallstückchen geschmückter Gürtel war weitaus besser als das, was die Jungen trugen. Und obwohl ich keinen Hut mit Pfauenfedern hatte und auch keinen Gürtel, besaß ich doch seit dem 13. Lebensjahr ein eigenes Pferd. Der Vater, der nicht wußte, was er mir schenken sollte, schenkte mir Geld, und dafür kaufte ich mir ein Pferd." (S. 231)

"Meine Jungenhaftigkeit gefiel der Alten (gemeint ist die Großmutter - A. d. Ü.) nicht. Sie versuchte, mir manchmal Strafpredigten zu halten, wenn auch meistens in sehr weicher Form: ‚Warum erlaubt die Mutter dir soetwas? Kann man sich denn als Mädchen so benehmen?'

Und ich regte mich auf, obwohl die Oma so gut und schwach war, daß man sich eigentlich über sie nicht ärgern durfte.

Im übrigen hat sie sich auch selbst vor mir gefürchtet, aber die Art, wie ich schließlich meine Zeit verbrachte, versöhnte sie schließlich mit meinem Benehmen.

Und gerade im Sommer verwandte ich die meiste Zeit darauf, meinen kleinen Garten zu bearbeiten." (S. 232)

"Meine Kindheit im Dorf war eng mit den Nachbarskindern verbunden, vor allem mit zwei Mädchen, die mit mir in einem Alter waren. Wir verbrachten zwei Tage in der Woche zusammen und verbrachten sie stets in der Banja (russisches Badehaus - A. d. Ü.). Die Banja stellte für uns eine Hütte dar, und wir waren die Bauern (Bauern männlichen Geschlechts - A. d. Ü.). Die Bauern führten die in der Saison notwendigen Arbeiten durch. Die Rollen waren dabei ein für allemal aufgeteilt: die energischste von uns war der Hausherr, ihre Schwester - die Hausherrin und ich der Arbeiter. Wir widmeten uns voll unserem bäuerlichen Leben. Wenn ich mich heute an dieses Spiel erinnere, habe ich immer das Gefühl, als hätten wir unser Schicksal vorausgeahnt. Der Hausherr wurde wirklich zum ‚Hausherren', sie leitet vorbildlich einen Grundbesitz, eben jenen, auf welchem wir in der Banja spielten, die Hausherrin kommt auch gut mit ihrer städtischen Hauswirtschaft zurecht und ich ... ich blieb das, was ich in der Banja war, Arbeiter.

Schön war es auf dem Dorf, und als der Herbst hereinbrach, wollte ich nicht in die Stadt zurück. Es war nicht deshalb, weil ich nicht gern gelernt hätte, aber die ganze Art des Stadtlebens, das sich hinter Wänden abspielte und die mädchenhafte Kleidung waren mir zuwider." (S. 233)

"Noch weniger paßte ich in das Pensionat, wohin ich seit dem 10. Lebensjahr ging. Das war ein sehr anständiges deutsches Pensionat, wo schon die dritte Generation von Mädchen erzogen wurde, sehr ruhige und beherrschte Mädchen, die sich darauf vorbereiteten, gute ‚Hausfrauen' und ‚Mütter' (deutsche Bezeichnung so auch im russ. Text - A. d. Ü.) zu werden, die all das fleißig paukten, was zu pauken aufgegeben wurde. Und unter die geriet plötzlich ich - ein russischer Wildfang, ein guter Kamerad meiner Brüder, für die ich oft viel zu wild war, die ich oft drillte und kritisierte, daß sie weder an Pferden, noch an schlechten Kutschern Gefallen finden konnten.

Was aber sollte ich in diesem Pensionat machen! Meine Verwegenheit konnte sich nicht recht Raum verschaffen und während der ganzen Zeit des Bestehens des Pensionats, seit dem Moment an, von dem ab das dicke schwarze Buch, genannt ‚Klassenbuch' geführt wurde, bekam niemand solche Noten für das Betragen wie ich. Ich blieb allein und einzigartig in dieser Hinsicht. Ich wurde so viel und oft gerügt, daß ich seit langem damit aufgehört hatte, darauf zu hören und mich überhaupt dafür zu interessieren, was man zu mir sagte. Ich erinnere mich daran, daß man mir prophezeite, ich würde in die Hölle kommen, aber ich fürchtete mich auch nicht vor der Hölle. Als ich in den unteren Klassen war, dachte sich meine Klassenleiterin - eine Deutsche - sogar besondere Strafen für mich aus, die es bis dahin im Pensionat nicht gab und die es wahrscheinlich auch nach mir nie wieder gegeben hat. Sie schickte mich zum Frühstück in einen einzelnen Raum und ich war stolz darauf." (S. 234)

"Der Gedanke an den Tod ließ mir keine Ruhe. Als ich noch ein kleines Mädchen war, habe ich furchtbare Träume gehabt: ich lag im Grab und erwachte dann. Dies war einer meiner gewöhnlichen Träume, der sich in allen Einzelheiten entwickelte und wie es oft in Träumen ist, die sich oft wiederholen, er hatte seine ganz bestimmte Atmosphäre, und ich verhielt mich zu diesem Traum wie zu etwas Eigenem, Vertrauten.

Als ich älter wurde, kam mir der Gedanke an den Tod auch im Wachen und nahm die Gestalt des Nirwana an. Zu beliebiger Tages- und Nachtzeit konnte ich mir vorstellen, daß ich nicht mehr existiere und daß Zeit und Raum auch verschwinden. Nichts Schlimmeres kann ich mir bis heute vorstellen. Wenn es weder Zeit noch Raum gibt, so gibt es überhaupt nichts mehr und der Zustand der grenzenlosen Leere (der noch schlimmer ist als einfach Leere, denn Leere an sich ist schließlich immer noch unser menschlicher Begriff) überkam mich plötzlich. Ich konnte dieser schwierigen Situation nur entfliehen, indem ich das eine Wort ‚Mama' aussprach und mich auf kürzestem Wege zu meiner Mutter begab." (S. 236)

"Früh begann ich damit, all das zu lesen, was irgendeinen Bezug zur Philosophie hat. Niemand sagte mir das, aber gefühlsmäßig wußte ich, daß die Fragen, welche mich quälten, die Philosophie begründeten und daß die Philosophen die Menschen sind, die mich wirklich beruhigen und trösten können. Bei ihnen habe ich die Lösung der ewigen Fragen nach der Entstehung der Welt und ihrer Zukunft gesucht, die Lösung und Enträtselung dessen, was mein inneres Leben ausmachte." (S. 236)

 

Biographische Notiz zu M. W. Besobrasowa (1857-1914)

Erste russische Frau, die professionelle Philosophin wurde. Ausbildung in einem deutschen Pensionat, durchläuft nebenbei selbständig den Kurs des Männergymnasiums, besucht die Vorlesungen D. I. Mendeleews und A. N. Beketows auf den "Höheren Frauenkursen". Sie beendet eine pädagogische Ausbildung 1876 und reist nach Zürich, wo sie sich als Gasthörerin an der Universität einschreibt. Im Jahr 1891 verteidigt sie ihre Dissertation zum Thema: "Handschriftliche Materialien zur Geschichte der Philosophie in Rußland".

In Rußland wird sie bald für ihre herausragenden Vorträge zur Philosophie bekannt. Allerdings konnte sie keine Anstellung erhalten, die ihrer Spezialisierung entsprochen hätte. Von den übrigen Philosophieprofessoren wurde sie nicht anerkannt. Auf ihre Initiative hin wird die "Russische philosophische Gesellschaft" an der St. Petersburger Universität gegründet, aber sie selbst wird von Organisation und Tätigkeit der Gesellschaft weitgehend ausgeschlossen.

Ihre zahlreichen Arbeiten, vor allem zur Philosophiegeschichte, wurden im In- und Ausland populär.

Der oben zitierte Textausschnitt aus Rosanows Buch stammt ursprünglich aus ihrer Autobiographie: "Gutes und Schlechtes aus meinem Leben". St. Petersburg 1910, die mir im Original leider nicht zugänglich war.

 

Bernhard Wegener

Alle Namen, Orte und die Kalenderdaten wurden in den überarbeiteten Kurzbiographien von Dr. Wegener aus Datenschutzgründen verändert, die Sachverhalte stimmen mit der Realität überein.

Das Leben der Gerda Schmeling

Die Geburt des Richard Schmeling im Jahr 1951 war von der damals schon 40jährigen Mutter mit Sehnsucht erwartet, denn sie wünschte sich schon über viele Jahre ein Kind. Ihre Ehe bestand schon 16 Jahre, aber sie hatten anfänglich keine Möglichkeit, ein Kind zu versorgen, denn sie und ihr Mann hatten einen Bauernhof seines Vaters übernommen, der heruntergewirtschaftet war und alle ihre Anstrengung erforderte, damit sie die hohen Kredite abzahlen konnten, die sie zur Wiederherstellung benötigten. Verwandte hatten sie in ihrem kleinen Dorf in Nordbayern nicht zu wohnen, so daß sie alle Lasten alleine tragen mußten.

Die Eltern hatten, als Richard geboren wurde, weder Elektrizitäts- noch Wasseranschluß. Das Wasser bezogen sie aus einem Brunnen, Licht wurde durch Petroleumlampen, Öllichter und Kerzen gespendet. Der Vater war rüstig, obschon er 14 Jahre älter war als die Mutter.

Die Schwangerschaft gestaltete sich für die Mutter kompliziert, weil sie, wie sie später erzählte, auch in dieser Zeit schwer arbeiten mußte. Die Schwangerschaft fand mit einer schwierigen Geburt ihren Abschluß. Richard kam mit einer Zangengeburt auf die Welt.

Er hatte eine schwere Skoliose. Zur Stabilisierung seines Skelettsystems mußte Richard fast die ganzen ersten 6 Lebensjahre in einem Gipsbett zubringen. Er lernte keine anderen Kinder kennen. Seine Mutter war die Hauptbezugsperson. Als er 6 Monate alt war, verstarb sein Vater plötzlich. Die Mutter mußte deshalb noch mehr aArbeiten, konnte sich dem Kind nur wenig zuwenden. Sie wurde durch eine Nachbarin, die Mitleid hatte, stundenweise unterstützt. Schließlich konnte sie den Belastungen nicht mehr standhalten und ging mit Richard zu ihrer Mutter, die in Bremen wohnte.

Nach einem halben Jahr der Anwesenheit in Bremen wurde Richard eingeschult. Er konnte dem Unterricht kaum folgen, hatte Angst vor den Lehrern und Mitschülern. Er stand fast nur in der Ecke, den Kopf in seinen Händen verborgen. Er hatte bislang keine Erfahrungen mit anderen Kindern gemacht, und auch fremde Erwachsene bereiteten ihm höchste Angst. Er konnte nicht lernen, mußte das Schuljahr wiederholen.

Dann erkrankte plötzlich die Großmutter. Sie erlitt einen Schlaganfall und war auf der linken Körperseite gelähmt. Die Mutter konnte nicht ihre Mutter und ihn versorgen. Sie mußte überlegen, wen sie in ein Heim geben sollte, ihre Mutter oder ihren Sohn. So entschied sie schließlich, ihren Sohn in ein Heim zu geben, denn Richard sollte sich an andere Kinder gewöhnen. In seinem 7. Lebensjahr kam er in ein Heim, in welchem er blieb, bis er 9 Jahre alt war. Er habe dort ab und zu die Schule besucht. Es sei ein Heim für Schwererziehbare gewesen, für Behinderte und andere Kinder, so erinnert er sich, die völlig durcheinander waren. Die Kontakte waren nicht einfach für ihn zu knüpfen, und er blieb anfangs mehr oder weniger isoliert und konnte den Stoffen im Unterricht nicht folgen.

Mit 10 Jahren begann sein sexuelles Leben zu erwachen. Richard hatte Freundinnen, mit denen es allerdings nicht zu körperlichen Kontakten kam und er begann, seine Bettnachbarn oral zu befriedigen. Es war ein Bedürfnis, das einfach aus ihm heraus erwuchs, ohne daß er wußte, warum das so war. Er war völlig unbefangen in seinem Sexualverhalten und fiel aus allen Wolken, als ihn jemand bei den Erziehern verraten hatte. Es war ein Heim, welches von Diakonissen geleitet wurde. Sie sperrten ihn in einen Keller, zwangen ihn zu beten als Strafe für ein Vergehen, welches er nicht als solches begreifen konnte. Das wiederholte sich einige Male, da er von seinem Tun nicht ablassen konnte.

Schließlich wurde er aus dem Heim entlassen in die Obhut einer Pflegemutter, die sich seiner annahm. Es war eine Frau, die anthroposophisch orientiert war und noch eine Tochter und einen Sohn hatte. Die Frau brachte Richard bei ihrem Sohn im Zimmer unter, wo sie zusammen in einem großen Bett schliefen. Er fand Tom, so hieß der Sohn, sehr reizvoll mit seinen hellblonden Locken und er verführte ihn. Es bildete sich so eine enge Freundschaft zwischen den beiden, da Tom auch immer wieder auf sexuelle Kontakte bestand.

Richard ging auf eine Schule, wo er zum ersten Mal ohne Lernstörungen arbeiten konnte. Er erreichte ein gutes Zeugnis und machte schließlich einen guten Schulabschluß. Den Sportunterricht nützte er immer wieder, um sich an seine Schulkameraden heranzumachen. Mit fast allen, so erinnerte er sich später, gelang es ihm einen sexuellen Kontakt herzustellen, denn sie waren alle neugierig. Die Schulzeit ging 1969 ihrem Ende zu.

Schon mit 14 Jahren lernte er im Schwimmbad immer wieder Männer kennen, die so waren wie er. Er nutzte diese Kontakte aus, um weitere Informationen zu bekommen über Treffpunkte und Menschen, die so waren, wie er es war. Er war wahllos in seinen Kontakten. Er wollte keine persönliche Beziehung, sondern nur das Glied des Mannes. Er haßte es, wenn ein anderer Mann sein Glied anfaßte. Er lernte einen wesentlich älteren Mann etwas näher kennen. Der nahm ihn mit in Kneipen. Schließlich kam er bei einem solchen Kneipengang an eine Bar, die ihn sehr anzog. Er lernte den Wirt kennen, der ihn nicht hereinlassen wollte, weil er minderjährig war. Seinen Zugang zum Lokal mußte er sich dann damit erkaufen, daß er ältere Männer animierte. Es war aber auch die Zeit, in der er anfing, als Frau zu leben. Nachts hatte er als Frau gelebt, tagsüber als Mann. Er ging in Frauenkleidung in die Bar, hatte sein Glied mit Leukoplast nach hinten gebunden, sorgte dafür, daß die Gäste genug tranken und trank auch selber über den Durst. Er wünschte sich damals alle möglichen sexuellen Erfahrungen zu machen. Damals ist ihm schon der Gedanke aufgetaucht, daß er vielleicht als Frau leben sollte. Dieser Gedanke wurde aber schnell wieder verdrängt.

Aus dem Haushalt der Pflegemutter mußte er, als er 16 war, wieder fort, denn sie hatte einen kriminellen Mann, der wieder einmal aus dem Gefängnis entlassen wurde. Es war ein rauher und gewalttätiger Kerl, der ihn gleich am ersten Tage des Kontaktes schlug. Deshalb zog er zu einer Tante, von deren Freund wurde er ebenfalls geschlagen, weil ihm auffiel, daß er nachts Frauenkleider anzog. Es folgte nach einem brutalen Angriff des Mannes auf ihn ein Selbstmordversuch. Richard wurde in die Universitätsklinik eingeliefert. Er wurde wegen seiner Suizidalität untersucht und es wurde befundet, daß er homosexuell sei. Seine Mutter, der er sich offenbarte, hielt sein Verhalten nur für eine Phase, die nicht so ernst genommen werden sollte. Sie meinte, es werde sich schon wieder legen.

Der Freund der Tante, den er angezeigt hatte, versuchte Rache zu üben. Er lauerte ihn auf und schlug ihn wieder. Er floh deshalb zu einem Pfarrer, der ihn aufnahm, ihn aber wieder zu seiner Mutter schickte, weil er befürchtete, wegen Richards Sexualverhalten in schlechten Ruf zu kommen. Er ging zurück zur Mutter.

Nach Beendigung der Schulzeit hatte er eine Lehre als Gärtner versucht, die brach er ab. Als er wieder bei der Mutter war, begann er noch einmal eine Gärtnerlehre und zog zu dem Meister. Der war sehr streng. Als er in Frauenkleidern nach Hause kam und der Meister ihn sah, warf er ihn nachts raus. Er wußte nicht, was er dann machen sollte. Schließlich lernte er einen jungen Mann kennen, der ihm einen Lehrplatz als Krankenpfleger vermittelte. Diese Lehre beendete er mit einer guten Note in einem Alter von 20 Jahren.

Der Versuch, ihn zum Militärdienst einzuziehen, scheiterte. Er ging in Frauenkleidern hin und bestand auf weibliche Anrede. Die nahmen keine Frauen, er wurde als untauglich für den Militärdienst erklärt.

Er hatte inzwischen eine eigene Wohnung, nahm alle möglichen Leute auf, die er kennenlernte. Darunter sei aber nie ein Schwuler gewesen. Mehrmals wurde er von seinen Gästen bestohlen und es hat Ärger mit den Nachbarn gegeben, so daß er aufgefordert wurde, aus der Wohnung auszuziehen. Er ging wieder kurzfristig zur Mutter, suchte sich dann ein eigenes Zimmer in Dortmund.

Er war mit sich unzufrieden, haßte sich schließlich wegen seiner Sexualität, bekämpfte sein Leben, wie er es geführt hatte. Er wurde von einem jungen Mann auf der Straße angesprochen, von dem er für die Moon-Sekte angeworben wurde. Er begab sich ganz in die Abhängigkeit dieser Gruppe, zweifelte jedoch schon nach einem halben Jahr, daß er so weiter mit deren Richtlinien leben konnte und schied nach einem Jahr aus, indem er im Telefonbuch blätterte und ihm eine Anzeige der Mormonen auffiel, die er aAnrief und ein Treffen arrangierte. Aber auch diese Gemeinschaft erfüllte ihn schließlich nicht. Er fand sie zu lasch. Es wurden ihm auch zu wenig Hilfen zur Bewältigung seiner Schwierigkeiten gegeben. Er wollte nicht mit Männern aber auch nicht mit Frauen Sexualität haben. So suchte er weiter und wurde Mitglied bei den Zeugen Jehovas, dann, als er mit dieser Gruppierung ebenfalls scheiterte, bei den Adventisten. Über eine Periode von 9 Jahren versuchte er seine Sexualität zu verdrängen. Er betete, machte allerlei Übungen mit, geißelte sich, ließ sich dreimal taufen. Jedoch scheiterte das Wegbeten seiner sexuellen Wünsche, und seine Selbstbestrafung führte zu keiner Besserung. Langsam dämmerte es ihm, daß alles Unfug ist, was diese Gemeinschaften über Sexualität erzählen, und er kehrte sich in das Gegenteil. Es ging ihm in dieser Zeit körperlich immer schlechter.

Er eröffnete ein CaféKaffee. Darinnen fand sich ein buntes Gemisch zusammen. Es war eine kurze zufriedenstellende Periode für ihn. Er trug damals wieder Männerkleidung, weil er dieses als Auflage von den Sekten beibehalten hatte. Er hatte aber zahlreiche Kontakte mit Männern und versuche es auch mit Frauen. Die Kontakte mit Frauen waren aber eher unbefriedigend. Es war mehr ein Tätscheln und Abtasten. Er wollte nicht in eine Frau eindringen. Er lernte dann eine Ausländerin kennen, die er heiratete. Er wollte nach außen normal erscheinen. Sie habe ihm etwas von Liebe erzählt, und er habe geglaubt, daß es schon irgendwie zusammen funktionieren werde. Jedoch stellte sich schnell heraus, daß es nur eine Legitimationsehe war. Die Frau wollte ein Aufenthaltsrecht haben und war froh, daß sie einen Partner gefunden hatte, der sexuell nichts von ihr wollte.

Er lernte kurz nach der Heirat einen hübschen 18jährigen Burschen kennen. Mit dem verreiste er nach Sizilien, war verliebt, wollte alles aufgeben, mit ihm dorthin ziehen. Als das Geld aufgebraucht war, trat die Realität wieder auf die Bühne und der hübsche Mann reiste einfach ohne ihn ab. Sexualität habe in dieser Beziehung nicht stattgefunden. Es habe nie Sexualität zu den Menschen gegeben, die er wirklich geliebt hatte. Richard kehrte zurück nach Deutschland. Sein Lokal war geschlossen worden, weil heimlich Drogen verkauft wurden, worüber er nicht informiert war, weil er ein halbes Jahr abwesend war.

Kurz nach seiner Rückkehr wurde er auf der Straße überfallen, erlitt einen Schädelbasisbruch und behielt ein Anfallsleiden zurück. Er war immer benommen, vertrug die Medikamente nicht, konnte nicht mehr arbeiten, kippte schon nach zwei Glas Bier um. 1979 wurde er deshalb berentet. Er war nicht mehr belastungsfähig. Die kleinsten Aufregungen ließen ihn nicht mehr los, brachten ihn für Tage aus dem seelischen Gleichgewicht. Es schmerzte ihm tageweise sein ganzer Körper. Er konnte sich körperlich nicht mehr anstrengen, fühlte sich verworren, wurde manchmal plötzlich ängstlich. Er bekam, wie er es nannte, einen Nervenzusammenbruch. Er ging in eine Nervenklinik. Dort blieb er ungefähr 7 Monate. Seine Ängste besserten sich etwas aufgrund der Medikamente, aber gesprochen hat dort auch niemand mit ihm. Er wünschte sich, sein Leben zu klären, womit er keine Fortschritte machte. Er sei homosexuell, wurde ihm gesagt. Sie sprachen viel über Verstehen, haben ihn aber nicht verstanden. Er hatte in den folgenden Jahren viele Gespräche mit Psychiatern und Psychologen. Es wurde ihm die aus heutiger Sicht befremdlichsten Vorschläge gemacht. Er solle sich auf eine knabenhafte Frau einlassen, wurde geraten, er solle etwas suchen, was Schwanz und Busen hat, er solle seine Homosexualität akzeptieren, er solle sich einen Bart wachsen lassen, damit er nicht so feminin wirke. Niemand kam auf den Gedanken, daß sein Problem seine Identität war, auch er selber nicht.

Schließlich ging er, da er nur eine sehr kleine Rente bekam, zurück zur Mutter, die jetzt in Regensburg wohnte. Er führte die Hunde der Nachbarn aus, hatte fast nur Kontakte zu alten Damen. Die Mutter ging in ein Altersheim, er blieb noch etwas in der Wohnung wohnen. Ein Onkel kam zu Besuch, stahl ihm sein letztes Geld. Er stellte eine Anzeige und wurde deshalb prompt in eine Nervenklinik eingeliefert. Der Arzt erklärte ihm, er habe Halluzinationen, er sei krank und dürfe nicht mehr alleine wohnen. Er kam 1982 in ein Altersheim, weil dort ein Platz für ihn bereitstand. Das wurde ihm nach einem halben Jahr zu viel. Er war noch jung, und um ihn herum gab es nur Sterben und Tod. Er zog zu einem alten Mann, der völlig daneben war. Richard war verzweifelt, fand aber keinen Ausweg mehr. Schließlich betrank er sich, obwohl er wußte, daß er das nicht vertragen konnte. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht und wurde von dort in ein Obdachlosenasyl geschickt. Dort hielt er es nicht aus, weil die Atmosphäre zu unpersönlich war, die Leute tranken und stanken. Er ging, es war Sommer, einfach auf die Straße und schlief in Hausfluren. Er trug ein Kleid. Er spürte, er war krank, wußte aber nicht, was es war. Es entwickelte sich eine Nierenentzündung. Er kam wieder in ein Krankenhaus. Dort wurde gesagt, daß er schizophren sei, weil er ein Kleid anhatte. Er wußte nur, daß er sich in Frauenkleidern wohlfühlte. Von der Möglichkeit einer körperlichen Korrektur hatte er keine Information.

Mit seiner eigenen Persönlichkeit ist er nicht weitergekommen. Er wurde sich immer unklarer über sich. Jetzt glaubte er wieder, daß er schwul ist. Er besorgte sich wieder eine eigene kleine Wohnung. Da kam eine Nachricht von Verwandten aus dem Haus seiner ersten Kinderjahre. Er wurde ermittelt, um die Erbschaft anzutreten. Man nahm ihn freundlich auf. Er wohnte dort für fast drei Jahre. Es kam immer wieder zu Telefonterror. Ihm wurden am Telefon allerlei Dinge vorgeworfen, die er nicht getan hatte. Dann kam es eines Tages zu einer Feier, er wurde betrunken gemacht und unterschrieb seinen Verzicht auf die Erbschaft. Am nächsten Tag wurde er von der Polizei herausgeworfen. Seine Tante erregte sich über die Verhaltensweise der Angehörigen, wollte sich für ihn einsetzen, starb aber vor Aufregung.

Er flüchtete sich nach Berlin vor allen Vorwürfen, die gegen ihn gemacht wurden. Er schaffte es nicht, sich auseinanderzusetzen. In Berlin war er wieder obdachlos. Er wohnte in leerstehenden Wohnungen, Bauwagen und verbrachte in einem solchen Wagen einen Winter. Er lernte per Zufall einen Transsexuellen kennen. Zum ersten Mal, daß er eine transsexuelle Person traf.

Wenige Tage danach wurde ihm plötzlich schlecht. Er konnte nicht mehr auf den Beinen stehen. Die Untersuchung ergab, daß er an Aids erkrankt ist. Es sei wohl deshalb so gekommen, weil er immer andere befriedigt habe. Er habe sich nie anfassen lassen. Erst hier in Berlin ist ihm aufgegangen, daß er transsexuell ist. Erst hier ist es ihm wie ein Stein von den Schultern gefallen. Alle Fragen, Unsicherheiten wurden plötzlich klar. Seit 1990 ist es eindeutig, er ist eine Frau. Sie/Er fing an, sich zu orientieren, wo es Einrichtungen für Transsexuelle gab, trat mit ihnen mehr und mehr in Kontakt, suchte Rat und beantragte schließlich die Namensänderung in Gerda. Wegen ihres schlechten gesundheitlichen Zustandes war es kompliziert, Operateure zu finden. Es gelang, und Gerda war zum ersten Mal in ihrem Leben glücklich, für zwei Jahre. Sie starb.

 

Das Werden des Andreas L.

Andreas L. wurde 1952 in einem kleinen Dorf in Sachsen als Tochter von Brigitte und Heinz L. geboren. Die Eltern hatten sich auf der Flucht aus Schlesien kennengelernt, und nach Beendigung der Kriegswirren heirateten sie noch jung, um eine gemeinsame Zukunft aufbauen zu können. Sie brauchten beide jemanden, an den sie sich anlehnen konnten, denn alle ihre Verwandten waren zerstreut, ihre Eltern im Krieg umgekommen. Sie waren bemüht, sich an die neuen Lebensbedingungen anzupassen, arbeiteten zuerst in der Landwirtschaft und bekamen wunschgemäß ihr ältestes Kind, Renate, im Jahr 1949. Es wurden insgesamt 8 Geschwister, deren jüngstes 1967 geboren wurde. Die große Zahl der Kinder war gewollt, denn solcher Personenzahl waren auch einst ihre Familien.

Die Eltern hatten wenig erzieherischen Einfluß genommen. Es lief einfach so. Die Kinder haben sich gegenseitig erzogen. Die größeren Kinder paßten auf die kleineren auf. Sie sind so in die Verantwortung hineingewachsen. Es habe auch gar keine andere Möglichkeit bestanden, denn die Eltern mußten für den Lebensunterhalt sorgen und waren nach des Tages Mühe erschöpft. Als sie 6 Jahre war, hat sie einfach ihr Zöpfe abgeschnitten. Sie hat gesagt, daß sie das getan hat, damit die Jungs in der Klasse nicht daran ziehen. Es war aber nicht wahr. Vielmehr habe sie damals schon angefangen, ihr weibliches Äußeres zu hassen. Sie begann durchzusetzen, daß sie in Hosen herumlaufen konnte. Das sei den Eltern nur recht gewesen. Sie betrachteten das nur aus pragmatischen Gesichtspunkten. Von anderen Kindern wurde sie oft als Junge angesprochen. Sie erinnert sich, wie stolz sie war, wenn das geschah.

Die räumlichen Verhältnisse der Familie sind sehr beengt gewesen. Der Vater war sehr introvertiert, durch den Krieg verstört. Er ist ein liebenswerter Vater gewesen, aber wegen seiner Rückzüge in sein Inneres für die Kinder kaum erreichbar. Es sind Kriegserlebnisse gewesen, die ihm zu schaffen machten. Er war nicht in der Lage, darüber zu sprechen. Er war auch körperlich geschädigt. Sein linker Fuß war durch eine Granate in Mitleidenschaft gezogen, und er habe einen Splitter in der Schulter gehabt. Darunter habe er stark gelitten. Ansonsten war er ein Mensch, der nie richtig präsent war. Er war zwar anwesend, man konnte mit ihm reden, aber nicht, wenn es um ihn persönlich ging, um seine Gefühle. Er war auch ein sehr schwacher Mensch. Keines der Kinder habe ihn wirklich kennengelernt.

Andreas, damals noch Andrea, hatte sehr viele Probleme mit der Mutter. Die ist eine extrem hysterische, was meint, launisch und zu affektiven Ausbrüchen neigende Person gewesen und sei es auch heute noch. Die Kinder stellten sich oftmals zwischen die Eltern und übernahmen eher eine Beschützerfunktion für den Vater. Das habe sich durch die ganze Kindheit und Jugend gezogen.

Andere Verwandte lebten, wie sich langsam herausfilterte, in Berlin, in der ehemaligen DDR. Es habe aber nie irgendwelche näheren Kontakte zu denen gegeben. Der Vater hat den Kontakt abgebrochen. Die Kinder hatten eine Tante und eine Cousine erst nach seinem Tod kennengelernt. Die Geschwister kamen zu der Ansicht, daß er einfachhin mit seiner Vergangenheit brechen wollte. Er erzählte manchmal, daß er große Probleme in seiner Familie hatte, nie anerkannt wurde, von seinem Vater geschlagen wurde. Die Mutter habe zahlreiche Verwandte gehabt, die den Krieg überlebt hatten, und die sich nach und nach meldeten. Zu den Angehörigen mütterlicherseits haben nie bedeutende Kontakte bestanden.

Die Mutter hat sich so aufgeführt, daß die anderen Verwandten einfach die Lust verloren hatten, sie zu besuchen.

Andrea besuchte keinen Kindergarten und hatte in den ersten Jahren auch sonst wenig Kontakte zu fremden Kindern. Das Leben spielte sich in der familiären Gemeinschaft ab. Der Vater hatte bald eine Arbeit in Dresden gefunden, denn wegen seiner Versehrtheit konnte er die landwirtschaftliche Tätigkeit nicht lange ausüben. Sie zogen an den Stadtrand. 1958 ist die Familie in Bayern ansässig geworden. Sie wohnten in einem kleinen Haus, das baufällig war. Andrea erfuhr nie, warum sie übersiedelten, oder ob es eine Flucht war. Die Eltern haben es den Kindern nie erklärt, auch nicht, warum die älteste Schwester in der DDR blieb. Andreas Erinnerungen setzen erst in der Zeit in Bayern ein, über die Geschehnisse davor, habe sie nur langsam, Stück für Stück vom Vater erfahren.

Sie hatte ein gutes Verhältnis zum Vater, sie war an die Stelle der älteren Schwester getreten. Sie mußte die Nachzöglinge erziehen und den Vater gegenüber der Mutter verteidigen. Sie mußte ihn schützen, denn er sei zu schwach gewesen. Sie und die anderen Geschwister fühlten sich oft damit überfordert. Es war eine verkehrte Welt, eine zürnende Mutter, die ihrem Mann Versagen vorwarf, und der sich verkriechende Vater, der vor den Ausbrüchen der Mutter geschützt werden mußte.

Die Mutter hat, so erinnert sich Andrea, einen Kampf gegen ihren Mann und die Kinder geführt. Sie habe sie alle abgelehnt. Ihre Kinder haben ihr nicht genügt. Sie sei zwar immer wieder schwanger gewesen, aber sobald die Geschwister auf der Welt waren, habe sie sie gehaßt. Sie habe alle Verantwortung für die Kinder abgelehnt, und die Kinder mußten die Verantwortung für das große, bösartige, hysterische Kind übernehmen. Es war wie eine Verdammnis, aus der es kein Entrinnen gab.

Die Geschwister und sie haben dem Vater des öfteren geraten, sich scheiden zu lassen, was allein aufgrund der finanziellen Situation nicht möglich war. Aber auch der Vater war nicht einfach. Heute kann sie sich vorstellen, daß er auch für die Mutter ein schwieriger Partner war. Erst kurz vor seinem Tode hatte er zu ihr gesagt, daß er zum ersten Mal wisse, daß er seine Familie liebe. So ganz sind sie aber nie dahinter gekommen, was das heißt, ob es stimmt.

Sie fand es schön, Geschwister zu haben. Das sei den anderen auch so gegangen. Sie mußte immer präsent sein und nachrückende Geschwister betreuen. Was für alle schwierig war, daß war, daß sie auf sehr beengtem Raum gelebt hatten. Sie hatten nicht einmal eine Minute alleine sein können. Jeder habe sich ein bißchen in sich selber zurückgezogen. Jeder schuf eine Mauer um sich herum, sonst hätten sie sich nicht aushalten können. Die Eltern schliefen in einem Raum, die Kinder verteilten sich auf zwei andere kleine Räume. Die Eltern stritten jede Nacht. Die Kinder bekamen alles mit. Sie mußte die jüngeren Geschwister trösten. Oftmals waren sie morgens alle kaputt.

Auf die Schule hat sie sich gefreut, jeden Tag, es war ein kleiner Freiraum in ihrem Leben, gleichzeitig ist es schwer gewesen, die Mauer wieder zu knacken, sich in der Schule auf den Stoff zu konzentrieren. Auch wenn man noch so gerne zur Schule ging, fiel es schwer. Morgens sind sie und die Geschwister müde, auf allen Vieren zur Schule gekrochen. Sie war in der Schule mittelmäßig. Es gab zu Hause keinen Platz für die Schularbeiten. Sie schämte sich in der Klasse vor den anderen Kindern wegen ihrer Familie. Sie war schüchtern, muckte nie auf.

Zu Haus ist die Situation konstant gespannt gewesen. Später, als Jugendliche, sind sie häufig abgehauen. Als sie kleiner waren, wußten sie nicht wohin, und als sie größer waren, fiel es überhaupt nicht auf, ob sie zu Hause waren. Die Mutter tat nichts mehr im Haushalt, überließ alles den Kindern, forderte von ihnen ein, daß sie bekocht würde, weil sie zu krank sei. Etwas entspannter war es nur, wenn die Mutter zur Entbindung ins Krankenhaus ging. Die Mutter hat zwei Fehlgeburten gehabt. Sie hat nach Andreas Ansicht nur so getan, als ob es sie betroffen hat. Tatsächlich hat sich nie etwas verändert. Vielmehr hat sie damit nur die Familie unter Druck gesetzt. Die Kinder mußten immer wieder versuchen, Geld zu beschaffen, borgten an allen möglichen Stellen und versuchten, Nahrungsmittel bei Nachbarn und Bekannten zu erhalten.

Ihr Verhalten fiel seit Eintritt der ersten Regel den Geschwistern als sonderlich auf. Sie gaben ihr männliche Rufnamen, nannten sie "den Zwitter", was sie aufgeschnappt hatten, weil einmal eine Schulfreundin das im Streit ihr nachgerufen hatte. Sie konnte nichts damit anfangen. Zwar empfand sie sich als anders gegenüber den Mädchen, spielte eher Beschützerrollen und schlug sich mit den Jungs, wenn jemand etwas gegen eines ihrer Geschwister sagte. Aus ihrer Sicht hat sie aber immer nur versucht, möglichst normal zu sein.

Als sie 14 war, wurde sie und ihre Schwester von einem Bekannten der Familie sexuell belästigt. Sie erzählten es den Eltern, wurden aber nicht Ernst genommen. Die Eltern glaubten den andern. Sie wanden sich heraus und luden den Mann ein paar Tage später noch zum Essen ein. Später sind immer wieder Belästigungen sexueller Art vorgekommen, auch durch andere Personen. Die Mutter hat das alles als Märchen abgetan. Als die Mutter später einen Hausfreund hatte, machte sie ihrer Schwester Vorwürfe, weil sie meinte, daß jene versuchte, ihr ihren Freund abspenstig zu machen. Die Geschwister verbündeten sich und wehrten sich schließlich gemeinsam gegen Übergriffe. Sie verprügelten den Liebhaber der Mutter. Der Hausfreund war wesentlich jünger als die Mutter, und der Vater lebte noch zu dieser Zeit, war aber schon hinfällig. Er versuchte, sich das Leben zu nehmen mit Tabletten, dann sich zu erstechen und zu erhängen. Es mißlang, weil er zu schwach war, und er wegen der vielen Personen im Haushalt nie lange genug alleine war, um seinen Plan zu beenden.

Sie schaffte die Belastungen schließlich nicht mehr. Sie blieb in der Schule sitzen, ging einfach nicht mehr hin, schied schließlich nach der 8. Klasse aus, mußte eine Lehre als Blumenbinderin anfangen, was ihr überhaupt nicht lag. Sie flüchtete, sie ging nach Frankfurt, jobte in verschiedensten Tätigkeiten, sparte und machte die mittlere Reife nach. Sie wohnte zuerst in einer WG, dann bei einer Freundin. Eine Tätigkeit als Verkäuferin im Kaufhaus gab sie auf, weil sie das einfachhin nicht mehr aushielt. Sie machte die verschiedensten Versuche, ihren eigenen Lebensweg zu gestalten. Immer wieder wurde sie wegen ihrer harten Art zurückgewiesen, wurde für ein Mann-Weib gehalten, für lesbisch. Eine solche Tendenz hat sie aber nie in sich verspürt. Sie wurde immer verworrener hinsichtlich der Fragen ihrer eigenen Empfindungswelt, und sie rettete sich schließlich in die Beziehung zu einem Kunstlehrer. Sie liebte ihn, dachte sie, legte es an, von ihm ein Kind zu bekommen, um einfach einmal sicher in ihrem Leben zu sein. Als sie mit 23 schwanger war, haßte sie sich, denn sie dachte, daß sie jetzt so ist, wie ihre Mutter. Der Kunstlehrer hatte aber seine eigenen Pläne mit ihr. Er war damals 26 und wollte ein Kind haben, aber er wollte nicht mit ihr zusammenleben, denn er war schwul. Er wollte sie bezahlen, damit sie ihm das Kind, einen Sohn, überläßt.

Sie lehnte ab, war sehr enttäuscht und lebte nur mit dem Kind. Die Sexualität habe ihr eigentlich nie Freude gemacht, und sie habe gemerkt, daß auch der Umgang mit dem Kind ihr anfänglich schwer gefallen ist, weil sie sich in die weibliche Rolle gedrängt fühlte. Sie hat gedacht, daß die ganze Beziehung mit dem Mann nur deshalb zustande gekommen ist, weil sie so männlich war, daß er sich wagte, an sie heranzukommen. Er habe, so dachte sie einmal, ein Kind von einem Mann haben wollen.

Ungefähr ein Jahr nach der Geburt lief ihr ihr späterer Mann über den Weg. Sie wollte endlich einen festen Ort zum Leben haben. Sie hatte die Wirrnisse und Unwägbarkeiten, die finanziellen Sorgen satt. Das Problem war, er wollte auch ein Kind. Sie gab nach, wurde schwanger und bekam einen zweiten Sohn. Verheiratet war sie immer noch nicht.

Als ihr zweiter Sohn 1 Jahr alt war, da haben sie schließlich geheiratet. Als sie verheiratet waren, war die Beziehung am Ende. Ein Vierteljahr später trennten sie sich. Bis sie geschieden wurden, da sind vier Jahre vergangen.

Sie hatte sich selbst und ihrem Ehemann etwas vorgemacht. Sie mußte einsehen, daß es für sie unmöglich war, in einer normalen Beziehung mit einem Mann zu leben. Sie hatte Angst, die scheinbare Normalität aufzugeben. Sie fühlte sich wieder zurückgeworfen in ihre Unsicherheit des Lebens, und sie kämpfte um ihren Sohn und die finanzielle Absicherung. Damals unternahm sie einen Suizidversuch, weil sie nicht wußte, wie sie leben sollte. Ihr Mann hat sie schließlich finanziell abgefunden. Den Kampf um ihren Sohn hat sie verloren und hat ihn nie wieder gesehen. Es kam zu einem zweiten Selbstmordversuch. Sie wurde in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert, und in der Folge wurde ihr auch ihr erster Sohn weggenommen.

Damals wohnte sie für einige Zeit in Hamburg und ging nach Entlassung aus dem Krankenhaus nach Belgien, um sich zu klären. Sie hatte ungefähr seit 1977 Informationen über Transsexualität gesammelt und war verunsichert, ob nicht ihre eigenen Empfindungen auch in diese Richtung gingen. Sie kehrte zurück. Ihr älterer Sohn kam wieder zu ihr. Sie hatte eine Arbeit gefunden, verdiente recht gut, war finanziell abgesichert, aber sie war völlig durcheinander, was mit ihrer eigenen Identität war. Sie spürte deutlich das Interesse, das heterosexuelle Frauen bei ihr erzeugten. Sie verwunderte sich, wußte es nicht einzuordnen, dachte, es sind Verwechslungen, weil sie kurze Haare trug und oftmals Männerkleidung. Sie versuchte sich mit Arbeit zuzudecken, und je mehr sie versuchte, ihre Gedanken beiseite zu schieben, um so stärker traten sie wieder hervor. Sie fing an, wie ein Schlot zu rauchen. Sie wurde nervös und reizbar. Schließlich bekam sie Kreislaufkrisen und Magengeschwüre. In einer psychosomatischen Kur wurde ihr gesagt, daß sie ein Streßgeschwür habe, was sie absurd fand. Ihre Einschätzung ist, daß sie es nicht mehr schaffte, ihre Identität zu unterdrücken. Ihr Sohn zog nach Berlin und sie dachte, daß es die Chance ist zu versuchen, ihre eigene Identität zu erproben. Sie warf kurzerhand ihre ganze weibliche Garderobe fort, kaufte sich Männerkleidung und versuchte, als Mann Anerkennung von der Umgebung zu finden.

Ihre Bekannten distanzierten sich, hielten sie für übergeschnappt. Ihre Geschwister warfen sie bei Besuchen raus. Das habe ihr aber nicht mehr weh getan, weil die innere Verbindung lange schon aufgelöst war. Zur Mutter ist sie seit dem Tod des Vaters, der jämmerlich an Lungenkrebs dahingesiecht ist, nicht mehr gegangen. Der einzige Mensch, der sie verstanden hat, das ist ihr Sohn gewesen. Dem hat sie schon ein halbes Jahr nach seinem Fortgang gestanden, daß sie sich als Mann fühlt. Er hat akzeptiert und sie mit Andreas angeredet.


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